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32 Jahre Deutsche Einheit - 50 Jahre deutsch-chinesische Beziehungen

Botschafterin Flor

Botschafterin Flor, © Deutsche Botschaft Peking

22.09.2022 - Artikel

Lesen Sie hier die Rede von Botschafterin Dr. Patricia Flor anlässlich ihres Empfangs zum Tag der Deutschen Einheit nach.

(English Version below)

Herr Minister Deng,

Exzellenzen,

verehrte Gäste,

Mein Mann und ich begrüßen Sie alle sehr herzlich zum deutschen Nationalfeiertag, dem Tag der Deutschen Einheit. Er erinnert an den 3. Oktober 1990, als die Deutschen in Ost und in West nach vier Jahrzehnten der Trennung die Teilung Deutschlands friedlich beendeten.

Der 3. Oktober 1990 ist einer der glücklichsten Tage in der wechselvollen deutschen Geschichte. Die diesjährige Feier zum Tag der Deutschen Einheit möchte ich aber auch nutzen, um an jenen Mann zu erinnern, ohne den diese deutsche Wiedervereinigung – friedlich, in Freiheit, getragen vom Willen der Menschen in beiden Landesteilen – kaum vorstellbar ist:

Michail Gorbatschow, der, wie Sie wissen, vor wenigen Wochen im Alter von 91 Jahren verstorben ist.

Er war es, der mit seinen Reformen in der damaligen Sowjetunion, mit Glasnost und Perestroika – Offenheit und Umgestaltung – den Weg ebnete für die friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa und damit auch für die deutsche Wiedervereinigung.

Gorbatschow wird im heutigen Russland sehr kritisch gesehen - insbesondere von jenen, die in alten Kategorien territorialer Größe denken, Macht und Bedeutung an der Herrschaft über möglichst viele Menschen und möglichst viel Gebiet messen und den Verlust solcher Macht als Tragödie verstehen.

Im vereinten Deutschland von 1990, eingebettet in die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Friedensordnung der Europäischen Union, glaubten und hofften wir zwar, dass solches Denken der Vergangenheit angehören möge.

Solcher Naivität entzog der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine endgültig jegliche Grundlage. Russland hatte im Budapester Memorandum 1994 die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine garantiert. Mit dem Versuch, entgegen dieser Zusicherung sein historisch und kulturell eng verbundenes Nachbarland gewaltsam gegen den Willen der Bevölkerung zu unterwerfen, fand der Traum von einer dauerhaft friedlichen Ordnung Europas 2022 vorerst ein Ende. Wir wissen jetzt: Frieden und Freiheit in Europa müssen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden und wir werden auch diese Aufgabe meistern!

Die friedliche deutsche Wiedervereinigung konnte 1989/90 gelingen, weil sie zu einem günstigen historischen Moment stattfand.

  • Sie gelang, weil Michail Gorbatschow den Weg frei machte für den Fall der Mauer, für die Selbstbestimmung der Völker und Staaten des ehemaligen Ostblocks, und weil die Menschen entschlossen waren, sich ihre Freiheit und die Möglichkeit des Lebens in einer selbst gewählten Gesellschaftsordnung mit friedlichen Mitteln zu sichern.
  • Sie gelang, weil sie vom Willen der Menschen in beiden Landesteilen, in Ostdeutschland und Westdeutschland, getragen war.
  • Sie gelang, weil die Machthaber in Ostdeutschland in den entscheidenden Tagen und Wochen am Ende nicht versuchten, den Gang der Geschichte mit Gewalt und Blutvergießen aufzuhalten.
  • Und nicht zuletzt gelang die deutsche Wiedervereinigung auch nur deshalb, weil nicht nur alle vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges damit einverstanden waren und ihre Zustimmung erklärten, sondern auch Deutschlands Nachbarn. Manche sahen ein wiedervereinigtes Deutschland zu Beginn skeptisch, aber sie akzeptierten es.

Aus diesem Grund empfinden wir Deutsche noch heute große Dankbarkeit für unsere Nachbarn, mit denen wir in Frieden leben innerhalb allseitig anerkannter Grenzen. Infolge der Aussöhnung und Freundschaft mit unseren Nachbarstaaten und im Rahmen der Europäischen Union sind unsere Grenzen inzwischen so durchlässig geworden, dass man sie kaum mehr bemerkt. Wer auf Usedom den Ostseestrand entlang spaziert, der steht irgendwann in Polen – ohne dass ein Grenzzaun oder eine Kontrolle ihn aufhielten.

An ein weiteres historisches Ereignis möchte ich heute erinnern:

Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1972, nahmen die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China diplomatische Beziehungen auf.

Deutschland wie China profitierten vom Austausch und der Zusammenarbeit in vielen Bereichen: in Handel, Wirtschaft, Wissenschaft, aber auch Kultur, Bildung, Klima und Umweltschutz. Heute sind mehr als 5000 deutsche Firmen in China präsent. Wirtschaftlich sind unsere beiden Länder eng verbunden.

Der Rückblick auf eine 50jährige Erfolgsgeschichte sollte uns inspirieren, nach den besten Wegen zu suchen, wie wir in den kommenden Jahrzehnten unsere Beziehungen zum beiderseitigen Nutzen weiterführen können – unter Anerkennung und Respekt für Unterschiede und Differenzen unserer Gesellschaften. Der Erfolg hat immer viele Väter und Mütter in allen Bereichen und auf allen Ebenen, einschließlich der höchsten politischen Ebene.

Dafür sind persönliche Begegnungen von entscheidender Bedeutung. Ich hoffe, dass wir in Europa, in Deutschland und auch in China baldmöglichst die Corona-Pandemie so zu bewältigen wissen, dass persönlicher Kontakt, Dialog und Austausch, Besuche und Reisen wie früher einfach und regelmäßig stattfinden können.

Wie Sie vielleicht wissen, arbeitet die deutsche Bundesregierung derzeit erstmals an einer deutschen China-Strategie. Dies zeigt, wie wichtig China für uns ist – und für wie wichtig wir Chinas Kooperation und Beitrag bei der Lösung globaler Probleme halten.

Allen voran möchte ich hier den Klimawandel nennen. Die Nachrichten dieses Sommers haben es nochmals in dramatischer Weise deutlich gemacht: Der Klimawandel ist Realität, und seine Auswirkungen werden für alle Menschen weltweit immer stärker spürbar. Das gilt in Deutschland, wo wir mit Waldbränden in bisher nicht gekanntem Ausmaß zu kämpfen hatten und die Schifffahrt auf dem Rhein zeitweise fast zum Erliegen kam, weil es zu wenig Wasser gab. Und das gilt, wie Sie wissen, genauso in China mit Dürre und Energieknappheit unter anderem in Sichuan.

Ohne China – als weltweit größtem CO2-Emittenten – ist der Kampf gegen den Klimawandel nicht zu gewinnen. Ohne die EU und Deutschland als große Emittenten und Energieverbraucher aber auch nicht. Wir sind bereit, gemeinsam in eine grüne Zukunft, in e-Mobilität, erneuerbare Energien, umweltfreundliche Landwirtschaft, saubere Ozean, kurz in die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der UNO, zu investieren.

Frieden und Sicherheit sind heute in Europa, in Asien, sind weltweit gefährdet. China als ständiges Mitglied des UN Sicherheitsrates trägt hier eine besondere Verantwortung. Deutschland wird weltweit zu seinem Bekenntnis zu friedlicher Konfliktlösung und seinem Engagement für die Krisenprävention stehen.

So blicken wir heute zurück: auf 50 Jahre deutsch-chinesische Beziehungen und auf 32 Jahre Deutsche Einheit.

Und wir blicken nach vorn: auf die gemeinsamen Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Der heutige Abend bietet eine gute und angenehme Gelegenheit zum persönlichen Austausch. In diesem Sinne: Noch einmal herzlich willkommen! Genießen Sie diesen Abend!


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