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Erster Online Poetry Slam in Guangzhou
Das in Deutschland beliebte Veranstaltungsformat und eine deutsche Poetry Slammerin kommen virtuell nach Guangzhou. Hier können Sie sich ein Bild davon und den Vorträgen aller chinesischen Slammer:innen machen.
Digitaler PoetrySlam: Von der Geburt über das Aussterben zur Hoffnung
Am Samstag, den 17. Juli 2021, um 16 Uhr war es endlich soweit, Rebecca Linnhoff und Yichun Chen öffneten im Namen des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschlands (Kanton) den digitalen Vorhang der unendlich weiten Bühne des Internets, um den FinalistenInnen des 1. deutschsprachigen PoetrySlams das Wort zu überlassen.
Unter den vielen Einsendungen zum PoetrySlam des Amtsbereiches hatten sich 15 ganz besondere Beiträge herauskristallisiert, deren SchöpferInnen die sich nunmehr darbietende Möglichkeit ergriffen, um nicht nur das zugeschaltete, internationale Publikum sondern auch die fachkundige Jury in ihren Bann zu ziehen. Der Organisatorin Rebecca Linnhoff war zudem der Coup geglückt, Julia Engelmann, eine – nein, die – Ikone der deutschen PoetrySlam-Szene, für den Wettbewerb zu gewinnen, sodass die Veranstaltung zweifelsohne zu den Highlights des Schul- bzw. Studienjahres der chinesischen DeutschlernerInnen des Amtsbereiches zählte. Neben der Star-Akquise vermochte es das Team des Generalkonsulats sogar, das sonst so widerspenstig, erratisch flackernde WiFi-Lämpchen zu stabilisieren, sodass die knapp zweistündige Übertragung via Microsoft Teams störungsfrei ablief.
Gelinde gesagt, fällt es äußerst schwer, den Werken in diesem begrenzten Artikel überhaupt näherungsweise gerecht zu werden, denn die SchülerInnen und StudentenInnen haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, mit wie viel Esprit sie an ihren Beiträgen gefeilt haben. Begeisterung rief nicht nur der kreative Umgang mit den Themen: „Pandemie“, „Natur und Technik“ sowie „Momente, die mein Leben veränderten“ hervor, sondern auch das pointierte Wortarsenal, welches so manchen MuttersprachlerIn ehrfürchtig aufhorchen ließ. Darüber hinaus machten sich die Wortartisten das weite Feld der rhetorischen Mittel zunutze, um Ideenreichtum und Eloquenz ausstaffiert zur Geltung zu bringen. Entsprechend wurde weder an Metaphern, Symbolen oder Vergleichen noch an Allegorien, Parallelismen oder Trikola gespart, sodass Inhalt und Handwerk gleichermaßen überzeugten. Ein Teilnehmer machte sich sogar die digitale Umgebung zu eigen, und potenzierte seinen Vortrag mithilfe von Licht- und Soundeffekten. Folgerichtig trieb die Jury die Aufgabe, die Werke zu kommentieren, zwar nicht zur Verzweiflung aber dafür zu Höchstleistungen – für die wir sehr dankbar sind.
Unter Verwendung von detailreichen Beispielen ging Lan Hoaxuan 兰浩轩 auf das Thema „Pandemie“ ein und erwähnte u.a. das hoffnungsschwangere Entsperren seines Handys, welches ihm die Stimme seines 1000km entfernten Freundes näher bringen würde. Er zeichnete zum Schluss das eindringliche Bild, der mit dem Rücken zur Wand stehenden Menschheit, um die Allgegenwart des Virus für alle spürbar zu machen. Regelrecht apokalyptisch wurde es bei Li Buyu 李步宇, der von zerbrochenen Familien und einer Welt im Chaos sprach. Er warnte die Menschen vor Leichtgläubigkeit und verriet, dass es zwar Impfstoffe gegen das Virus gebe, aber jeder selbst dafür verantwortlich sei, sich gegen Vorurteile und Manipulation zu impfen. Auch Gao Yuan 高源 nahm sich der aktuellen Corona-Situation an. Sie erzählten von den Helden, deren Schutzkleidung ihr Panzer und deren Hände ihre Waffen seien, und deren Mut es ihnen erlaube, sich der Invasion zu stellen. Li Qian 李倩 beschrieb die aufopfernde Arbeit der Ärzte, der Journalisten und auch der Familien, die Tag und Nacht und ohne Pause sich dem Virus entgegenstemmen. Sie führte Beispiele an, die ihren individuellen Verzicht veranschaulichten und nannte ihren Beitrag eine Voraussetzung für die Stärke der Einheit, denn „viele Hände machen dem Schrecken ein Ende.“ Shi Nianyu 石念玉 näherte sich dem Thema anhand von Gegensätzen, indem sie die Gefahr draußen mit der Langeweile drinnen und das analoge Vergessen dem digitalen Erinnern gegenüberstellte. Lai Yumei 赖煜梅gewann ihrem Lockdown sogar Positives ab, denn endlich erhielt sie die Gelegenheit, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Sie nahm die Zuhörerschaft auf eine Zeitreise durch Fotoalben mit und erzählte die Geschichte eines kleinen Mädchens, welches vom Dorf in die Stadt zog, um Geld zu verdienen, zu heirateten, sowie die Tochter zur Welt zu bringen, die nun dieses Gedicht vortrug. Luo Yongxin 罗咏欣personifizierte das Virus. Sie berichtete, wie sich das Virus während des Neujahrsfestes an die Menschen anhaftete und so von Stadt zu Stadt zog, um immer mehr Opfer zu fordern. Mit hämischem Lachen proklamierte das Virus seine Absicht, über die Welt zu regieren. Jedoch hatte es in seiner Überheblichkeit nicht mit der Resilienz der Menschheit gerechnet, deren Überlebenswille bisher jede Herausforderung gemeistert hat, sodass es – hoffentlich – sehr bald heißen wird: „Auf Nimmerwiedersehen, Corona!“
Yang Shurui 杨舒睿, die jüngste im Feld der FinalistenInnen, wandte sich in einem sehr lyrischem Beitrag dem Thema: „Natur und Technik“ zu. Schwärmerisch setzte sie ihr fernes Sehnsuchtsland im Westen mit einem Schatz gleich und unterstrich, dass sich das Warten lohne, denn die Sterne werden sie führen und ihre Gedanken weiter in Richtung ihres Ziels fließen. In seiner Hymne attestierte Zhang Wei 张玮der Natur heilsame Kräfte und lud seine ZuhörerInnen dazu ein, mit ihm die Natur zu genießen. Zhang Guangya张广亚, der schon ein Jahr in Marburg verbrachte, setzte in seinem Gedicht zu einem Erklärungsversuch für die Kugelform der Erde an. Seiner Mutmaßung nach wollte der Weltenschöpfer verhindern, dass es tagsüber zu laut und nachts zu ruhig zuginge, daher nahm er Abstand von der praktischeren Scheibenform, obzwar diese sowohl Zeitverschiebungen als auch mühselige Terminkoordination redundant gemacht hätte. Zhou Haibing周海冰richtete das Augenmerk der Zuhörerschaft auf die skrupellosen Eingriffe der Menschheit in die Natur. Obgleich zwischenzeitlich erkannt worden sei, dass sich die Renaturierung der Rodung entgegenstellen müsse, so stellte sie in einem genauso plötzlichen wie interessanten Twist klar, dass das satte Grün der Zukunft nur eine Illusion sein werde, welche ein Mann per Knopfdruck erscheinen und verschwinden lassen könne. Wortwörtlich düster wurde es wieder bei Li Zixuan 黎子萱, deren lyrisches Ich den Himmel selbst verkörperte. Mit sanfter Stimme erzählte der Himmel zunächst, wie er seit Jahrmillionen dem Leben Luft einhauche und wie sich die Menschheit anfangs alles mit der Natur teilte. In einem abrupten Bruch ward die Stimme zum Donner geworden und nannte den Menschen arrogant, da er alle Lebensräume okkupierte und die Tierwelt zum Weinen brachte. Das Blau des Himmels sei nun ein Schwarz gefüllt mit Gewittern, das Dürren und Sandstürme bringe. Alle Wiedergutmachungsversuche der Menschheit werden nicht genügen, denn in 100 Jahren wird sie nicht mehr sein, aber der Himmel wird bleiben und langsam heilen. Shan Wenyan单文彦subsummierte die begrenzte Sicht der Menschen auf die Formel: „Entweder gut für uns oder schlecht für uns.“ In ihrer imposanten Ballade schilderte sie, wie die Menschen zu Beginn mit dem Strom der Zeit schwammen und die schweigsame Natur mehr und mehr ausbeuteten, um dem Götzen der Maschinen zu huldigen. Im Laufe der Zeit wurde aus dem lauten Rattern der Maschinen jedoch ein bedrohlich leises Summen der Algorithmen, welches die Menschen zu Marionetten degradierte. Genauso verzweifelt wie erfolglos versuchte das entthronte Menschgeschlecht jetzt die Zeiger zurückzudrehen, doch nahmen weder Natur noch Technik das inhaltsleere Entschuldigungsbekenntnis an, vielmehr müsse die Menschheit sich anpassen, um sich ihren Platz im Gefüge der Erde zu verdienen.
Das Thema „Momente, die mein Leben veränderten“ offerierte im Vergleich zu den anderen beiden einen hoffnungsvolleren Grundtenor. Huang Yuxiang 黄羽翔genügte zur Inspiration ein Blick auf das ergrauende Haar seiner Mutter. Er erkannte, dass ihre Liebe ihn zwar nähre, sie aber gleichsam wie eine Kerze herunterbrenne, daher möchte er sein Möglichstes unternehmen, um bald erwachsen zu werden, damit seine Liebe das Haar seiner Mutter in das Ursprungsschwarz zurück verwandeln könne. Das lyrische Ich von Liu Kaiyuans 刘开源Gedicht wandte sich an die Geburt selbst. Während im ersten Drittel der Dank für das Normalsein im Vordergrund stand, wurde im zweiten Drittel ein Aufruf zu mehr Achtsamkeit laut, da das Durcheinandergeraten der DNA eine Panik verursache, welche dazu führe, dass die Freude ersticke und sich viele junge Paare dem Nachwuchswunsch verschließen. Im abschließenden Drittel wird trotz des fehlenden Vertrages hervorgehoben, dass die Geburt der Anfang eines Lebens war, welches bisher keinen Grund zur Beschwerde lieferte.
Wie in geheimer Absprache mit Liu Kaiyuan 刘开源und Huang Yuxiang 黄羽翔, setzte sich Julia Engelmann in ihrem Abschlussbeitrag ebenfalls mit dem Eltern-Kind-Verhältnis auseinander. Ihr lyrisches Ich richtete den Blick der Zuhörerschaft auf all die großen und kleinen (Helden-)Taten der Eltern, ohne die wir heute nicht die Erinnerungen oder die Zukunftsaussichten hätten, die uns heute gegeben sind. Wenn es nach ihr ginge, dann müsste die Zeit aufhören, damit gestern, heute und morgen für immer bleiben.
Liebe PoetrySlamerInnen, ihr habt es geschafft, das Organisationsteam des Generalkonsulats, die von nah und fern zugeschaltete Zuhörerschaft und Julia Engelmann ins Staunen zu versetzen. Wir alle waren zutiefst beeindruckt von euren Deutschfähigkeiten und eurem lyrischen Gespür. Eure Gedichte werden uns noch lange in Erinnerung bleiben und dafür möchten wir an dieser Stelle nochmals unseren Dank ausdrücken.
Alles Gute für die Zukunft und bis bald beim nächsten PoetrySlam.
Verfasser: Claus Huxdorff (DSD-Fachschaftsberater, Guangzhou, China)
Co-Verfasserin: Veronika Barth (DSD-Landesprogrammlehrkraft, Fuzhou, China)
Erster Online Poetry Slam in Guangzhou









