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Deutsch-chinesische Beziehungen in Forschung und Wissenschaft
Botschafterin Dr. Patricia Flor an der Zhejiang Hochschule, © Deutsche Botschaft Peking
Vortrag von Botschafterin Dr. Patricia Flor an der Zhejiang Hochschule für Wissenschaft und Technologie anlässlich der Entgegennahme ihrer Ehrenprofessur am 8. November 2023
Lieber Prof. Zhao,
Liebe Studierende,
ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein. Schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung.
Aufgrund meiner eigenen wissenschaftlichen Laufbahn fühle ich mich dem universitären Umfeld sehr verbunden. Ich freue mich deswegen besonders, dass ich bei meiner ersten Reise nach Hangzhou an Ihre Uni komme.
Seit fast 40 Jahren, nämlich seit 1985, pflegt die Zhejiang Hochschule für Wissenschaft und Technologie zahlreiche Kooperationsprojekte mit Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland. In diesem Zeitraum wurden über 30 Partnerschaften aufgebaut. Auf diesem Weg konnten sich Generationen von Akademikern beider Länder persönlich austauschen und stabile Netzwerke aufbauen. Die Zhejiang Hochschule für Wissenschaft und Technologie ist ein Leuchtturm in der deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperation.
Teil 1: Wissenschaft, Innovation & internationale Kooperation
Ich freue mich besonders, dass dieser Austausch nach der prägenden Erfahrung der Pandemie jetzt wieder möglich ist. Aber die Pandemie war nicht die einzige Herausforderung: Der Klimawandel droht das Leben auf diesem Planeten maßgeblich zu verändern. Die Biodiversität nimmt ab. Die Temperaturen steigen und damit die Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen und weiteren Pandemien. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung weiter. Dies stellt uns vor Herausforderungen in der Lebensmittelversorgung und -verteilung.
Bei all diesen Herausforderungen ist klar: Wir brauchen die Wissenschaft und die Forschung. Um dem Klimawandel zu begegnen, sind neue Energien und ihre Nutzung, z. B. mit E-Mobilität gefragt. Um die Biodiversität in den Weltmeeren zu schützen, brauchen wir technische Lösungen, um das Plastik aus dem Meer zu entfernen und Mikro-Plastik zu vermeiden, z.B. durch biologisch abbaubare Alternativen. Die global wachsende Bevölkerung fordert Innovationen, um die Effektivität unserer Lebensmittelproduktion zu steigern.
Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, dass es möglich ist, Lösungen zu finden: Nur durch langjährige Vorarbeiten in der Forschung war es gelungen, innerhalb nur eines Jahres mRNA- Impfstoffe zu entwickeln. Mit Hilfe der Digitalisierung konnten wir schnell auf Kommunikationsmittel zurückzugreifen, als der persönliche Austausch nicht möglich war.
Universitäten und Forschungsinstitutionen sind die Orte, an denen Forschung vermittelt und vorangetrieben wird. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft spielen sie eine zentrale Rolle in der Bewältigung dieser Herausforderungen.
Teil 2: Deutsch-chinesische Kooperation in Wissenschaft und Forschung, Kultur, Handelsbeziehungen, China-Strategie
Der internationale Austausch in Wissenschaft und Forschung ist eine wichtige Grundlage für Innovationen. Unsere beiden Länder verbindet eine langjährige Kooperation in diesem Bereich.
Der Austausch von Studierenden und WissenschaftlerInnen führt zu einem gegenseitigen Verständnis der Kulturen. Er verändert Biografien.
Neben bilateralem deutsch-chinesischem Austausch auf universitärer Ebene tragen auch die in China vertretenen deutschen politischen Stiftungen und Kulturmittler, wie der Deutsche Akademische Austauschdienst und das Goethe Institut zu dem Austausch bei.
Nicht zuletzt wird dieser Austausch auch mit Hilfe der größten Gruppe der in China vertretenen deutschen Organisationen fortgeführt: den deutschen Unternehmen.
Morgen werde ich an dem Treffen der deutschen Außenhandelskammer in China teilnehmen. Es werden mehr als 800 deutsche und chinesische UnternehmensvertreterInnen in Shanghai erwartet. Wir werden intensiv über die Bedeutung und weitere Entwicklung des Investitionsstandorts China für die deutsche Industrie diskutieren, und wie deutsche und chinesische Unternehmen zukünftig zusammenarbeiten können.
Deutschland und China sind füreinander wichtige Handelspartner. Für Deutschland ist China der größte Warenhandelspartner. Chinesische Unternehmen gehören zu den größten Investoren in Deutschland.
Die Liste erfolgreicher deutsch-chinesischer Kooperationen ist lang und deckt viele Bereiche ab: Von Energie, über Industrie und Umwelt bis hin zu Medizin. Die deutsche Bundesregierung hat beispielsweise in den vergangenen Jahrzehnten einige Forschungsvorhaben unterstützt, von denen wir alle im Alltag profitieren. Dazu gehören die Verringerung der Luftverschmutzung, intelligente Verkehrssteuerung, Medizin- und Medikamentenforschung aber auch die industrielle Fertigung (Industrie 4.0).
Die Vorteile unserer guten bilateralen und breiten Zusammenarbeit sind also klar.
Gleichzeitig ist klar, dass neben den Spuren, die der mangelnde Austausch während der Corona-Pandemie hinterlassen hat, die Welt sich in den letzten Jahren verändert hat, China sich drastisch verändert hat.
Wissenschaft und Technologie wurden genutzt, um eigene politische Ziele durchzusetzen. Lieferketten wurden unterbrochen. Länder, auch Mitgliedsländer der EU, wurden wegen politischer Streitigkeiten einseitig vom Handel ausgeschlossen. Unter Hinweis auf die nationale Sicherheit wurden Zugänge geschlossen, freier Austausch behindert.
Dabei wurde die Grundfeste der regelbasierten Ordnung, die Basis für internationale, friedliche Kooperation auf Augenhöhe erschüttert.
Auf diese veränderte Lage hat Deutschland reagiert, indem es u. a. im Juli die erste Chinastrategie verabschiedet hat. Darin steht klar: wir wollen transparent, fair und nachhaltig mit China zusammenarbeiten.
In Wissenschaft und Forschung wollen wir Kooperationsvorhaben unterstützen, die einen klaren Mehrwert auch für Deutschland und Europa erwarten lassen. Für uns ist zivile und militärische – auch militärisch anwendbare – Forschung klar zu trennen. Wenn in China zivile Forschungsprojekte, inkl. der Grundlagenforschung, immer auch auf ihre militärische Verwendbarkeit hin betrachtet werden. Daher setzt die chinesische Politik unserer Zusammenarbeit in diesem Bereich klare Grenzen.
Neben diesen politischen Veränderungen stehen wir vor globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, dem Artensterben oder der Vermüllung der Meere mit Plastik, die unser aller Lebensqualität bedrohen. China spielt hier nicht zuletzt aufgrund seiner Größe eine besondere Rolle, hat eine besondere Verantwortung.
Nur gemeinsam können wir uns den aktuellen Herausforderungen stellen. Nur gemeinsam kann es beispielsweise gelingen, Innovationen zu entwickeln, die auch in Zukunft ein friedliches und gesundes Leben auf der Erde ermöglichen. Hier sind wichtige technologische Zukunftsfelder, die wir im fairen Wettbewerb erschließen sollten.
3. KI, Chancen und Risiken, Bletchley Declaration
Viele denken, dass KI die Lösung bietet!
In Ihrer Provinz (Zhejiang) hat der Anteil an Unternehmen, die sich mit Anwendungen der Künstlichen Intelligenz befassen, stark zugenommen (Aufwuchs um 60%). Die wichtigsten davon sind in der Stadt Hangzhou angesiedelt. Auch als Hochschule haben Sie sich hier gut aufgestellt: Sie haben Ihre Lehre und Forschungsaktivität in diesem Bereich stärker ausgerichtet.
Mit der Westsächsischen Hochschule Zwickau kooperieren Sie unter anderem im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen, wo die KI bei der Intelligenten Fertigung eine große Rolle spielt. Zahlreiche Kurse werden hier von deutschen Hochschulprofessoren unterrichtet oder von chinesischen Hochschullehrern, die einen langjährigen Hintergrund in Deutschland haben.
Die Künstliche Intelligenz leistet große Dienste, wenn es darum geht, in Betrieben die Produktionsprozesse zu optimieren und etwa Leerläufe zu vermeiden oder Wartungsprozesse optimal zu planen und somit Produktionsausfälle zu verhindern. Deshalb spielt die KI in Deutschland im Bereich des Maschinenbaus eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel bei „Industrie 4.0“.
Diesen Einsatzgebieten der KI im Business to Business-Sektor stehen mögliche Verwendungen der Künstlichen Intelligenz gegenüber, vor denen sogar ihre bekannten Pioniere inzwischen warnen: Gefälschte Bilder oder Nachrichten, die Nutzugn von Daten ohne Schutz persönlicher Rechte bis hin zur totalen Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, das Ermöglichen von Cyberattacken oder terroristischen Anschlägen mit komplexen Waffen auch für „Einsteiger“ oder gar autonome Waffensysteme.
Außerdem: KI lernt aus der Vergangenheit und kombiniert das Gelernte in neuen Varianten. Das kann den Blick auf bisher unerkannte Lösungen lenken, aber die Gefahr, Fehlentwicklungen zu replizieren, anstatt kreativ Neues zu entwickeln, ist groß. Und was, wenn KI außer Kontrolle gerät?
Damit nicht genug: Es gibt viele ungeklärte Fragen, etwa nach dem enormen Energiehunger von KI in Zeiten des Klimawandels.
Kurzum: Wie erreichen wir, dass sich die Vorteile der KI nicht ins Gegenteil verkehren und letztlich zum Schaden der Menschen auswirken? Wie stellen wir menschliche Kontrolle sicher?
Klar ist: Wissenschaftlicher Fortschritt trägt nicht automatisch zum Wohle der Menschheit und unserer Umwelt bei. Die Vergangenheit lehrt uns, dass wissenschaftlicher Fortschritt potentiell auch zu großem menschlichen Leid und zu hohem Risiko führen kann, ich erwähne hier nur das Stichwort Kernspaltung und Nuklearwaffen.
Der Chemiker und Nobelpreisträger (1981) Roald Hoffmann rief jeden Wissenschaftler dazu auf zu hinterfragen, ob die Anwendung des erforschten Werkzeuges potentiell Menschen bedroht. Dieser Aufruf ist weise und vorausschauend, denn Technologie selbst mag neutral sein, aber sie ist oft „dual use“, sie kann zivil oder militärisch, zum Nutzen oder kann auch zum Schaden eingesetzt werden. Letztlich ist es nicht eine Frage der Naturwissenschaften, sondern wissenschaftlicher Ethik: Welche Grenzen können und müssen wir uns selbst setzen, und wie sorgen wir gemeinsam und global dafür, dass sie eingehalten werden?
Dies trifft ganz sicher auf Künstliche Intelligenz zu.
Deshalb war der „AI Safety Summit“, der vor ein paar Tagen in der Nähe von London stattfand, so wichtig. Deshalb war auch die chinesische Beteiligung an diesem Gipfel so willkommen.
Bei der Veranstaltung auf Einladung der britischen Regierung am historischen Ort im Landsitz Bletchley Park mit hochrangigen VertreterInnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ging es um die Chancen und Risiken im Bereich der Künstlichen Intelligenz.
28 Staaten, darunter China, Deutschland und die USA, haben sich am Ende auf eine gemeinsame Vorstellung zur Förderung von Sicherheit bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI verständigt.
Danach soll die KI letztlich dem Wohle aller dienen. Sie soll auf den Menschen ausgerichtet sein, nachhaltige Entwicklung fördern und Menschenrechte schützen. Die Erklärung unterstreicht die entscheidende Bedeutung von Transparenz und verantwortlichem Handeln.
Die UnterzeichnerIinnen haben vereinbart, internationale Forschung und Zusammenarbeit zur KI, d. h. ein inklusives internationales Netzwerk zur Sicherheit von KI der Zukunft zu unterstützen, und einen breiten und offenen Dialog auch künftig fortzusetzen.
4. Ausblick / Zusammenfassung
Nun haben wir viel über die Rolle des internationalen Austauschs und Künstlicher Intelligenz auf der Suche nach Innovationen gesprochen. Ein weiterer Faktor – wahrscheinlich der wichtigste – ist jedoch der Mensch selbst. Kreativität und kritische Denkfähigkeit unterscheidet auch Mensch und Maschine.
Kreativität funktioniert nicht auf Knopfdruck. Kreativität ist nicht planbar, sie entsteht oftmals durch Zufälle und Perspektivwechsel. Um kreative Prozesse und wissenschaftliche Neugierde in der Forschung zu fördern, brauchen wir Freiräume.
Freiräume in der Forschung bedeutet eine Fehlerkultur zu erlauben, Fragen stellen zu dürfen und für objektive Ergebnisse unabhängig von politischen Zielen, Ideologie oder finanziellen Erwägungen einstehen zu können.
Nehmen wir als Beispiel die medizinische und pharmazeutische Forschung: Im Schnitt schaffen es nur 1 bis 2 Substanzen von 10.000 zur Marktreife. Die F&E Aufwendungen für Unternehmen liegen dabei in Milliardenhöhe. Denken Sie an all die Forschungs-arbeiten, die vermeintlich nicht zum Ziel geführt haben. Aber auch diese Erkenntnisse sind essenzieller Teil der Forschung.
Laut dem UN-Menschenrechtskatalog muss die Wissenschaft frei sein. Hochschulen sind Orte, an denen Wissen vermittelt wird, und gleichzeitig Freiräume bestehen, um sich über unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen: Hier sammeln sich junge Leute, die wissbegierig sind, die gekommen sind, um Fragen zu stellen, neue Perspektiven kennenzulernen und den Horizont zu erweitern. Dieses Umfeld wird durch internationale Hochschulkooperation beflügelt, kann andere Herangehensweisen und Denkschulen vermitteln.
Deshalb ist mir der Austausch mit jungen Studierenden so wichtig: Sie sind die nächste Generation, die entscheidend zu Lösungen für unsere gegenwärtigen Herausforderungen beitragen können – und ich bin mir sicher – dies auch tun werden.
Wir sollten uns im Sinne einer friedlichen Welt, in der unsere Ressourcen endlich sind, für ernst gemeinte, gleichberechtigte und transparente Zusammenarbeit einsetzen.
Dies geht nur im Dialog, in dem wir offen über Sorgen, Ängste, Missverständnisse oder auch Konflikte sprechen können.
In diesem Sinne: Bleiben Sie offen, interessieren sie sich für Europa, Deutschland und trauen sie sich, Fragen zu stellen. Oder mit den Worten des deutschen Philosophen Immanuel Kant: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“