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Rede von Botschafterin Dr. Patricia Flor anlässlich des Tags der deutschen Einheit 2025

Rede der Botschafterin beim Tag der deutschen Einheit

Rede der Botschafterin beim Tag der deutschen Einheit © Deutsche Botschaft Peking

25.09.2025 - Artikel

Ihre Exzellenz,
sehr geehrte Frau Vize-Außenministerin Hua Chunying,
Exzellenzen,
liebe Gäste,

dieses Jahr feiern wir zum 35. Mal die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990.

Ein freudiger Tag, der zugleich nachdenklich stimmt. Denn der 35. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung fällt in ein Jahr, in dem sich auch das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal jährt. Wir erinnern in diesem Jahr auch an den Terror und Schrecken, den Deutschland während des zweiten Weltkriegs über Europa und die Welt gebracht hat.

Der zweite Weltkrieg hinterlässt bis heute auf der ganzen Welt Traumata und Wunden, die Generationen überdauern. Nicht nur in Europa, sondern auch hier in Asien. In China litten und starben Millionen Menschen im Kampf gegen die japanischen Angreifer. Den vielen Opfern zollen wir unseren Respekt und unser Mitgefühl.

Nichts bestimmt unsere Zeit so sehr wie die schmerzhafte Einsicht, dass jede Generation den Frieden neu gewinnen, aushandeln und bewahren muss.

Für Deutschland ist diese Erkenntnis nicht neu – sie prägt unsere Geschichte. In einem Jahr geschichtsträchtiger Jubiläen ist es unabdingbar, entscheidende Wegmarken der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen.

1945 endete der zweite Weltkrieg, aber das bedeutete weder in Deutschland und Europa noch in China Frieden. Die Welt sah sich einer neuen Konfrontation ausgesetzt – dem Kalten Krieg zwischen Ost und West. Doch von einem Kalten Krieg im Wortsinn kann man ohnehin nur für Teile Europas sprechen. Andernorts, auch in Asien gab es weiter „heiße“ Kriege.

Zugleich sah 1945 den ersten Versuch eines globalen Neubeginns – die Gründung der Vereinten Nationen in San Francisco. Die 50 Gründungsmitglieder waren überzeugt, dass nur eine neue globale Ordnung mit kodifizierten Grundprinzipien und Foren für internationale Zusammenarbeit künftigen Frieden ermöglichen würde.

Empfang anlässlich des Tags der deutschen Einheit 2025
Empfang anlässlich des Tags der deutschen Einheit 2025 © Deutsche Botschaft Peking

Der Auftrag der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, hat bis heute nicht an Bedeutung verloren. Die Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen wie das Gewaltverbot, das Gebot der friedlichen Streitbeilegung, der Schutz der Souveränität und territorialen Integrität sind so relevant wie vor 80 Jahren.

Damals begann auch auf europäischer Ebene ein beispielloser Versöhnungsprozess - für mich als überzeugte Europäerin und frühere EU-Botschafterin von besonderer Bedeutung. Ehemaligen Feinden – Deutschland und Frankreich, Deutschland und Polen - gelang Versöhnung und das Wagnis eines Neuanfangs als befreundete Nachbarn. Als Deutsche sind wir dafür besonders dankbar.

Diese Entwicklungen machen deutlich: hartnäckiges Ringen um den Frieden zahlt sich aus.

Kaum ein Ereignis hat uns Deutschen dies so deutlich vor Augen geführt wie die friedliche Revolution im Jahr 1989, die das Ende des Kalten Kriegs und den Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands einleitete. Sie wurde getragen von Menschen in Ostdeutschland und ihrem Verlangen nach Frieden, Freiheit und Wohlstand. Und von historisch außergewöhnlichen Entscheidungen Einzelner – am Ende vor allem des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow - gegen den Einsatz von Gewalt zur Unterdrückung der friedlichen Bestrebungen für Reform und Rückgewinnung echter staatlicher Unabhängigkeit in Osteuropa.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verwandelte sich die westliche europäische Gemeinschaft in das gesamteuropäische Friedensprojekt der Europäischen Union mit dem Ziel, die osteuropäischen Staaten durch Integration politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren und Konflikte zu befrieden.

Das Ende des Kalten Krieges erlaubte parallel den Aufbruch der Staatengemeinschaft in eine Ära der Kooperation zur Bewältigung globaler Herausforderungen, ein Friedensprojekt 2.0. Die Weltkonferenzen der 90er Jahre, die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs, die Sustainable Development Goals und das Pariser Klimaabkommen waren getragen vom internationalen Konsens, gemeinsam Hunger, Armut, Klimawandel, Diskriminierung zu überwinden und Völkerrechtsverbrechen nicht ungestraft zu lassen. Die Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995, zu deren Umsetzung ich als Vorsitzende der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen beitragen konnte, gab Frauen überall auf der Welt die Hoffnung auf Gleichberechtigung.

80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 35 Jahre nach der deutschen Vereinigung sind Optimismus und Aufbruchstimmung verflogen.

Russlands brutaler, völkerrechtswidriger Angriffskrieg prägt heute im vierten Jahr Europa. Jede russische Drohne, die die Ukraine, Polen oder irgendein anderes Land ansteuert, nimmt zugleich die europäische und internationale Friedensordnung ins Visier.

Diese Friedensordnung zu schützen, den Angriffskrieg zu beenden, ist Verantwortung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - auch Chinas. Jede Unterstützung von Russlands Kriegswirtschaft, militärisch, finanziell, materiell, verlängert das Sterben, auch unschuldiger Zivilisten.

Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine und wird sie finanziell, humanitär und militärisch in ihrem Abwehrkampf unterstützen.

International bröckelt das System der Vereinten Nationen, sinkt der Respekt für Völkerrecht und multilaterale Ordnung: Ende von Abrüstungsverträgen, Ausstieg aus dem Pariser Abkommen, hybrides und aggressives, auch militärisches Vorgehen gegen Andere, Terror und Geiselnahmen der Hamas, militärische Offensive und Hungersnot in Gaza. Weder der Sicherheitsrat noch UNICEF oder das VN Büro für humanitäre Hilfe sind voll handlungsfähig.

Deutschland und China haben von gemeinsamen Regeln der Welthandelsorganisation profitiert. Aber fairer, regelbasierter Handel ist heute bedroht. Anstelle Handelshemmnisse abzubauen, werden sie aufgebaut – durch Zölle, durch Exportbeschränkungen. Fairer Wettbewerb scheitert an Subventionen und Marktzugangsbeschränkungen. Für uns bleibt klar: Wir brauchen eine freie Weltwirtschaft mit verlässlichen Regeln, sonst verlieren alle an Wohlstand.

Ja, es ist richtig, dass 1945 geschaffene Institutionen die Welt von heute nicht widerspiegeln.

Aber zukunftstüchtige multilaterale Institutionen sind unerlässlich für friedliches Zusammenleben auf einem schrumpfenden Planeten und sie müssen allen Staaten faire Rechte auf Mitsprache einräumen. Dafür brauchen wir Reform - der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrats, der international Finanz- und Handelsarchitektur. Dafür setzt sich Deutschland ein, das wollen wir als Kandidat für den Sicherheitsrat ab 2027 erreichen.

80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg stehen wir wieder an einer Weggabelung. Erinnern wir uns: jede Generation muss Frieden und Wohlstand neu gewinnen. Wir brauchen ein Friedensprojekt 3.0!

Das vereinte Deutschland strebt für sich, für Europa und die Welt Freiheit, Sicherheit und Wohlstand an.

Wir stehen bereit, mit allen Gleichgesinnten zusammen zu arbeiten und an einer erneuerten, nachhaltigen und zukunftstüchtigen Friedensordnung mitzuwirken!

Weitere Informationen

Your Excellency, honourable Vice-Minister of Foreign Affairs Hua Chunying, Excellencies, Dear Guests, Honoured guests, this year we are celebrating 35 years since the peaceful reunification of Germany…

Ambassador Dr. Patricia Flor’s Speech for the Day of German Unity 2025

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